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Risikoeinschätzung von Finanzinstrumente und Strategien

Autorenbild: Reinhard MalinReinhard Malin

Wenn der Prozess der Anlageberatung oder Vermögensverwaltung nachträglich beurteilt wird, etwa wenn sich das Investment negativ entwickelt hat und dem Anleger ein Verlust erwachsen ist und er diese im Rahmen von Schadenersatzklagen zurückfordern möchte, stellt sich häufig die Frage: "Wie risikoreich war das Investment?"

Dabei sind neben der reinen Volatilität in der Vergangenheit Kriterien zu berücksichtigen:

  • Rechtlicher Charakter: Gewisse Wertpapiere verbriefen Ansprüche, die naturgemäß einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Eine Anleihe verbrieft ein Rückzahlungsversprechen und gilt grundsätzlich als weniger schwankungsreich und damit weniger risikoreich als Aktien oder gar Optionen und Futures, wo eine Rückzahlung gar nicht vorgesehen ist.

  • Daneben muss die Anlagestrategie betrachtet werden. Eine Anlagestrategie, die keine Hebelwirkungen zulässt durch Optionen, Futures und Kreditaufnahme, d.h. die nicht mehr als das eingesetzte Kapital dem Risiko aussetzt, ist risikoärmer als eine Strategie, die Leverage-Techniken zulässt (z.B. Short-Positionen, Derivate oder Kreditaufnahme).

  • Weiters spielt die Liquidität der Produkte eine Rolle, also jenes Mass, das die Möglichkeit widerspiegelt, die Anteile jederzeit zum Marktwert verkaufen zu können, wenn Geldbedarf besteht. Börsengehandelte Wertpapiere sind liquider als solche, die nicht innerhalb kurzer Zeit flüssig gemacht werden können (Hedgefonds Rückzahlungen etwa dauern z.B. oft Wochen bis Monate).

  • Ebenso ist der Diversifizierungsgrad als Risikomassstab. Eine Investition in nur wenigen Vermögenswerten macht das Gesamtengagement wesentlich abhängiger von der Performance und dem Risiko von Einzeltiteln als eine Investition in breit gestreute Titel. In der Regel schwankt bei einem Korb von Wertpapieren die Rendite weniger stark als bei Einzeltiteln, da die Marktwertentwicklungen von Einzeltiteln regelmäßig nicht perfekt 1:1 korreliert sind. Die theoretische Erklärung dafür liefert Markowitz (Harry M. Markowitz: Portfolio Selection - Die Grundlagen der optimalen Portfolio-Auswahl). Dasselbe gilt für Portfolios, die Aktien von Unternehmen in verschiedenen Ländern und Währungsräumen beinhalten.

  • Schliesslich spielt auch das regulatorische Regime eine Rolle: Unterliegt das Finanzinstrument einer Aufsicht? Gelten allgemein anerkannte Grundsätze? Gelten beispielsweise die europaweit harmonisierten Anlagebegrenzungen und Aufsichtsregeln?


In diesem Zusammenhang ist interessant, welche Finanzprodukte von Finanzdienstleistern in welche Risikoklassen eingestuft werden. Wie Banken und Fondsgesellschaften Wertpapiere und andere Investitionsmöglichkeiten nach ihrem Risiko klassieren, ist nicht gesetzlich oder sonst irgendwie objektiv vorgegeben, sondern obliegt den Finanzdienstleistern selbst[1]. Ob die Einschätzung richtig gemacht wurde, ist in jedem Streitfall nachträglich zu beurteilen. Deshalb werden die Finanzdienstleister bestrebt sein, diese Einschätzung richtig zu machen. Ergibt deren Einschätzung ein zu sicheres Bild von der Investition, laufen sie Gefahr, dass ein Gericht einer möglichen Schadenersatzklage eines Kunden Recht gibt. Ergibt die Einschätzung ein zu risikoreiches Bild, investiert der Kunde womöglich erst gar nicht oder erwartet eine höhere Risikoprämie, d.h. eine höhere Rendite. Daher berücksichtigt jeder Finanzdienstleister individuell Faktoren wie allfällige Zusammensetzung und Streuung des Produkts, Einschätzung der Marktlage, Erfahrungen und Beobachtungen in der Vergangenheit, Gefahr einer Fehlberatung etc.. Entscheidend kann natürlich auch der Zeitpunkt dieser Einschätzung und der dann vorliegende Wissensstand sein.

 

Die Praxis zeigt, dass die Finanzintermediäre in den letzten Jahren vorsichtiger geworden sind und ihren Produkten tendenziell höherer Risikoattribute zuweisen. Es waren und sind vier-, fünf- und siebenstellige Risikoskalen in Verwendung. In Deutschland folgen viele Finanzintermediäre der Risikoeinstufung der Deutschen Bank (https://www.maxblue.de/dam/maxblue/de/files/pdf/Informationsblatt_Risikoklassen.pdf), welche mE ein sehr gelungener Überblick über ein äusserst komplexes Thema darstellt.

 

Eine Untersuchung der Risikoklassen verschiedener Finanzintermediäre ergibt das nachstehende Bild, wobei die einzelnen Risikoklassen auf fünf Stufen zusammengefasst werden:




[1] Eine gewisse Ausnahme stellen die Vorgaben der ESMA (European Securities and Markets Authority, CESR’s guidelines on the methodology for the calculation of the synthetic risk and reward  indicator in the Key Investor Information Document, vom 1 Juli 2010; CESR/10-673) dar. Diese entwickelte 2010 ein siebenstufiges Risikomaß (SRRI, Synthetic Risk and Reward Indicator) für eine bestimmte Art von Wertpapierfonds (UCITS). Gemäss der auf der Basis der letzten fünf Jahre ermittelten Volatilität und allfälligen Ausschüttungen wird der Fonds einer von sieben Stufen zugeordnet. Diese Betrachtungsweise ist aber lediglich eine Vergangenheitsbetrachtung im Sinne von „Wir wissen, dass wir in der Vergangenheit durchschnittlich eine Kursschwankung von x% hatten“. Sie lässt wesentliche zusätzliche Indikatoren ausser Acht. Über die Zukunft sagt diese Kennzahl wenig aus und läuft daher Gefahr, eine falsche Sicherheit vortäuschen.







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